Der digitale Nomade: Traumjob oder Illusion romantischer Freigeister?

Es hat etwas von der Legende eines Ernest Hemingway: Irgendwo am Meer bei einem Glas Wein sitzen und sich von der Umgebung für die Arbeit inspirieren lassen. Freiheit, Abenteuer und – Realität. Denn moderne Nomaden haben es längst nicht immer leicht.

Ist der digitale Nomade die Zukunft der Telearbeit?

Freelancer sind freie Mitarbeiter, die ähnlich wie Söldner oder Freibeuter (hier liegt der Ursprung der englischen Bezeichnung) an keinen bestimmten Auftraggeber gebunden sind. Texter, Autoren und Schriftsteller sind von Natur aus meist Freiberufler, wobei das in Deutschland vor allem eine Frage der steuerlichen Einstufung ist. Verwenden wir also lieber den Begriff Freelancer, das klingt viel verwegener.

Seit es die sogenannten Telearbeitsplätze gibt, sind viele Berufe nicht mehr an bestimmte Örtlichkeiten gebunden. Alles, was man braucht, ist ein Stromanschluss, den funktionierenden Rechner sowie natürlich eine Anbindung an das Internet, sofern eine direkte Datenübertragung gewünscht ist. Das sei nur am Rande erwähnt, weil es natürlich auch die Möglichkeit gibt, offline zu arbeiten und die Ergebnisse später an einem geeigneten Ort hochzuladen oder (auch das soll es vereinzelt noch geben) per Post zu verschicken.

Der echte Digital-Nomade nutzt aber selbstverständlich die Möglichkeiten, online zu arbeiten, zu recherchieren und zu kommunizieren.

Video: Digitale Nomaden im Paradies Bali | Weltspiegel

Mobilität zeichnet den digitalen Nomaden aus

Eine feste Anstellung ist den meisten freien Mitarbeitern fremd, obwohl sie nicht selten einen Großteil ihrer Aufträge von einem oder zwei Hauptauftraggebern erhalten. Trotzdem bindet man sich nie komplett nur an einen „Herren“, der über das berufliche Schicksal entscheidet. Der Freelancer ist also stets ein Unternehmer in eigener Sache, weil er die Auftragslage selbst im Auge behalten muss.

Der Vorteil dabei ist, dass sich die freien Mitarbeiter innerhalb gewisser Grenzen ihre Tätigkeit in der Regel selbst einteilen können. Diese Freiheit bei der Berufsausübung übt bereits einen großen Reiz auf viele Menschen aus, die eine Selbstständigkeit einer festen Anstellung vorziehen. Es ist immerhin ein Unterschied, für einen Chef zu arbeiten oder für die eigene kleine Firma. Der digitale Nomade ist nun eine besondere Form des Freelancers, der einen Schritt weiter geht, indem er sich auch örtlich nicht mehr gebunden fühlt. Ortsunabhängiges Arbeiten nennt der Experte das und es bedeutet nicht nur, dass man im Homeoffice der Mietwohnung in Berlin arbeiten kann, sondern so gut wie überall auf der Welt, sofern eine Kommunikationsverbindung besteht.

Exotische Orte wie eine Insel auf den Malediven, ein Strand in Thailand oder vielleicht eine Berghütte in den Rocky Mountains sind als Arbeitsplätze plötzlich absolut machbar. Selbst an Orten, wo es keine Internetverbindung per Kabel oder Mobilfunk gibt, kann man theoretisch mit etwas größerem finanziellen Aufwand über eine Satellitenverbindung online gehen. Diese nahezu grenzenlose Ungebundenheit zieht viele Freiberufler neuerdings magisch an. Der digitale Nomade wird zum attraktiven Berufsbild – aber natürlich gibt es auch Schattenseiten.

Im Ausland kommt man oft mit weniger Geld aus

Momentan liest man in allen wichtigen Bereichen über den Anstieg der Zahl digitaler Nomaden in computeraffinen Berufen. Oftmals lassen sich berufliche Aktivität und Reisen auch thematisch miteinander verbinden. Denken wir nur einmal an Journalisten und Korrespondenten, die ohnehin in aller Welt unterwegs sein müssen. Aber auch dann, wenn die Örtlichkeit nicht zwingend mit dem Beruf zu tun hat, kann der digitale Nomade überall auf der Welt tätig sein. Es ist das perfekte Berufsbild für alle, die sich aus der üblichen Tretmühle der Unternehmensstrukturen oder der klassischen Heimarbeit befreien wollen.

Manchmal fängt es klein an: Statt im muffigen Büro nimmt man sein Laptop mit ins Café, in den Park oder an den See. Von da ist es nur noch ein kleiner mentaler Schritt zum digitalen Nomaden. Solange das Geld stimmt, kann man schließlich auch auf Mallorca oder in Thailand leben – und das oft günstiger, was die Lebenshaltungskosten angeht. Warum also nicht ein Gehalt beziehen, das man bei einer festen Anstellung in Deutschland erwarten kann, aber gleichzeitig von günstigen Kostenstrukturen anderer Länder profitieren? Der digitale Nomade kann das tun, wenngleich es einige Dinge gibt, die nicht ganz unkompliziert sind.

Zu den typischen Berufen, die fast an jedem Ort ausgeübt werden können, zählen unter anderem: Programmierer. (#01)
Zu den typischen Berufen, die fast an jedem Ort ausgeübt werden können, zählen unter anderem: Programmierer. (#01)

Typische Berufe, die sich für digitales Nomadentum eignen

Zunächst sollte man klären, für wen sich das Dasein als digitaler Nomade eignet. Denn nur die digitale Welt an anderen Orten erleben zu wollen, reicht nicht aus. Es funktioniert nur dann, wenn man nicht physisch zu Besprechungen oder für Kundenkontakte am Firmensitz zur Verfügung stehen muss.

Zu den typischen Berufen, die fast an jedem Ort ausgeübt werden können, zählen unter anderem:

  • Programmierer
  • Texter
  • Autoren, Journalisten
  • Blogger, insbesondere Reiseblogger
  • SEO-Spezialisten
  • Online-Marketing-Unternehmer
  • Software-Entwickler
  • Webdesigner
  • Analysten (z. B. in der Datenverarbeitung oder in der Finanzbranche)
  • Vertriebsangestellte

Bei dieser (ohne Anspruch auf Vollständigkeit erhobenen) Liste fällt auf, dass auch solche Berufe darunter sind, die durchaus Kunden- oder Geschäftskontakte erfordern können. Das ist aber nicht unbedingt ein Problem, denn der digitale Nomade ist (was der Begriff ja schon nahelegt) nicht einfach ein Auswanderer, der nur an einem anderen Ort arbeitet, sondern per Definition zum Reisen und Umherziehen bereit. Das bringt neue Herausforderungen, aber eben auch Möglichkeiten mit sich. S

ofern es rentabel umgesetzt werden kann, was Reiskosten etc. betrifft, kann man sich beispielsweise als Online-Martketingexperte in verschiedenen Ländern „herumtreiben“, um Kunden direkt zu betreuen oder auch Dinge zu verkaufen. Der Begriff „Vertreter“ ist in digitalen Berufen eher verpönt, aber letztlich läuft es nicht selten genau darauf hinaus, wenn Vertriebsmitarbeiter in aller Welt tätig sind. Da sich nicht jede Firma Mitarbeiter in allen Ländern leisten kann, greifen diese gerne auf Freiberufler zurück, die in ihrer eigenen Selbstständigkeit ortsunabhängig für andere Unternehmen tätig sein möchten.

Fragt man Menschen, warum sie der digitale Nomade der Zukunft sein möchten, kommt die Selbstentwicklung oft an erster Stelle.(#02)
Fragt man Menschen, warum sie der digitale Nomade der Zukunft sein möchten, kommt die Selbstentwicklung oft an erster Stelle.(#02)

Selbstverwirklichung in aller Welt

Fragt man Menschen, warum sie der digitale Nomade der Zukunft sein möchten, kommt die Selbstentwicklung oft an erster Stelle. Als freier Mitarbeiter hat man häufig eine größere Freiheit gegenüber Auftraggebern, man muss nicht immer jeden Job annehmen und kann sich der geistigen, beruflichen und manchmal auch emotionalen Selbstentwicklung widmen. Darüber darf man die Wirtschaftlichkeit natürlich nicht vergessen, denn das gehört zu jeder Selbstständigkeit dazu, sofern man erfolgreich sein möchte.

Es gibt viele Orte, an denen der digitale Nomade sein (temporäres) Zuhause finden kann. Manche Städte und Länder haben regelrechten Kultstatus erlangt, was das ortsunabhängige Arbeiten ohne feste Anstellung angeht. Thailand rankt hier relativ hoch, weil die Lebenshaltungskosten gering sind, die Location vielen Freischaffenden zusagt und die Anbindung an die digitale Welt beinahe überall problemlos möglich ist.

Ohne Zwänge geht es nicht

Wer aber nun denkt, dass der digitale Nomade ganz ohne Zwänge auskommt, sieht sich getäuscht. Es gibt natürlich einige Dinge zu klären, bevor man einfach in die weite Welt zieht und seine Dienste anbietet. Wie ist das beispielsweise mit der Steuerpflicht? Das ist besonders dann wichtig, wenn man sich nicht nur auf einen exotischen Standort konzentriert, sondern tatsächlich den Begriff Nomade wörtlich nimmt und ständig den Standort wechselt. Und nicht nur die steuerlichen Herausforderungen wollen gemeistert werden.

Eine oft vernachlässigte Frage ist die nach einer Krankenversicherung für digitale Nomaden. Einen weltweiten Versicherungsschutz zu bekommen, ist mithin gar nicht so einfach, wie man meinen sollte. Tatsächlich hinken die bürokratischen Mühlen der Realität hinterher und sind alles andere als ortsunabhängig. Hier gibt es mittlerweile aber verschiedene Lösungen. Das Startup Safetywing versichert beispielsweise weltweit digitale Nomaden im Standardtarif für 37 US-Dollar im Monat. Ausgenommen vom Versicherungsschutz ist allerdings das jeweilige Herkunftsland des Versicherten. Dort erhält man maximal 30 Tage pro Vierteljahr Versicherungsschutz.

In den USA fällt hierfür jedoch eine Zusatzgebühr von 30 Dollar an. Initiatoren sind drei Norweger, die selbst das Leben als digitaler Nomade führen und feststellen mussten, dass es für diese Gruppe kaum entsprechend geeignete Angebote auf dem Markt für Krankenversicherungen gab. Natürlich kann das Startup nicht alleine den umfassenden Versicherungsschutz bestreiten und kooperiert daher mit einem japanischen Versicherungskonzern, der die eigentliche Abwicklung im Versicherungsfall übernimmt. Das Startup möchte neben der Krankenversicherung noch weitere Produkte entwickeln, um dafür zu sorgen, dass der digitale Nomade in Zukunft über eine soziale Absicherung verfügt.

 Nicht jeder, der sich von den Zwängen der Festanstellung befreien möchte und orstunabhängig nach eigener Zeiteinteilung arbeiten will, eignet sich für das Dasein als digitaler Nomade. (#03)
Nicht jeder, der sich von den Zwängen der Festanstellung befreien möchte und orstunabhängig nach eigener Zeiteinteilung arbeiten will, eignet sich für das Dasein als digitaler Nomade. (#03)

Selbstdisziplin ist wichtig

Neben den bürokratischen Fragen, die man als Freiberufler generell klären sollte, bleibt die individuelle Herausforderung. Nicht jeder, der sich von den Zwängen der Festanstellung befreien möchte und orstunabhängig nach eigener Zeiteinteilung arbeiten will, eignet sich für das Dasein als digitaler Nomade. Die digitale Welt eröffnet zwar viele Alternativen, aber wer nicht in der Lage ist, sich an einem schönen Ort wie dem Strand von Bali selbst zur Arbeit zu motivieren, wird langfristig nicht glücklich in diesem Beruf sein. Das gilt natürlich für jede Selbstständigkeit, denn wer sein eigener Chef ist, muss sich auch selbst in den Hintern treten können, um erfolgreich zu sein. Die Verlockungen und Reize, die immer nur auf Freizeit ausgelegt sind, können dazu führen, dass man als Nomade in der digitalen Welt scheitert.

Auch das ständige Reisen, was typisch für diesen Menschenschlag ist, ist längst nicht für jeden geeignet. Was zu Beginn als schöne Abwechslung und Herausforderung noch Spaß macht, hat schon so manchen nach einiger Zeit auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Denn auch, wenn man an den schönsten Plätzen der Welt arbeiten kann, bleibt die Notwendigkeit, auch als digitaler Nomade zu arbeiten, um das Leben finanzieren zu können. Ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin ist also eine Grundvoraussetzung, um erfolgreich ortsunabhängig tätig sein zu können. Man sollte das nicht unterschätzen: Häufige Klimawechsel, der unvermeidliche Jetlag und andere Stressfaktoren können die Illusion vom einfachen Leben im Paradies und dem freien Umherziehen schnell zunichte machen. Traum und Wirklichkeit sind eben nicht immer identisch.

Hinter der Fassade

Gerade für Außenstehende sieht das Leben als digitaler Nomade nahezu traumhaft aus. In der Regel verdient man ganz gut, kommt in der ganzen Welt herum und kann an den schönsten denkbaren Arbeitsplätzen seinem Tagwerk nachgehen. Dass es aber eben längst nicht immer das Leben und Arbeiten im Paradies ist, stellt sich oft erst nach einiger Zeit heraus. Besonders dann, wenn eine Auftragsflaute einsetzt oder es einfach mal nicht vorangeht mit der Arbeit, wird es schnell eng.

Für das Familienleben ist die Präsenz als digitaler Nomade ebenfalls schwierig, denn wer kann es sich schon leisten, die gesamte Familie im Schlepptau zu haben, wenn er die Welt bereist? Von praktischen Erwägungen wie Schule der Kinder und Arbeit des Partners ganz zu Schweigen. Was nicht bedeutet, dass es unmöglich ist; so mancher schafft es durchaus, Familie und digitale Präsenz in aller Welt in Einklang zu bringen. Moderne Auffassungen von Beziehungen und Kindererziehung sind hierfür jedoch sehr zu empfehlen, wenn nicht sogar eine zwingende Voraussetzung. Gerade, wer diese Erfahrung auch zur Selbstentwicklung nutzen möchte, sollte sich darüber klar werden, wo die Prioritäten und Notwendigkeiten im Beruf liegen.

War man als digitaler Nomade noch vor wenigen Jahren ein absoluter Exot und mit seinen Erfahrungen auf sich alleine gestellt, gibt es inzwischen viele Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Welche formalen Voraussetzungen gibt es, welche technischen und menschlichen Herausforderungen müssen gemeistert werden? Damit nicht jeder digitale Nomade das Rad neu erfinden muss, gib es mittlerweile viele Netzwerke, in denen man sich austauschen kann. Die Community wächst stetig und tauscht sich an Orten wie dem „Digitale Nomaden-Forum“ aus.

Die gängigsten FAQ und die Vernetzung mit Infos über die sogenannte DNX (Digitale Nomaden-Konferenz) findet man unter https://www.digitalenomaden.net/, dem vermutlich wichtigsten Dreh- und Angelpunkt für die Nomaden-Community.

Video: “Die besten Länder der Welt für digitale Nomaden | Wohin auswandern | Beste Orte | Folge #69”

Fazit: Digitale Nomaden leben einen Traum – wachen aber manchmal im Albtraum auf

Es klingt romantisch und abenteuerlich: Der digitale Nomade kann überall arbeiten, wo er will – sofern er über Internetanbindung verfügt. Was für viele der Traum des Freelancers ist, kann jedoch auch zum Albtraum mutieren, wenn man sich nicht vorher darüber klar wird, welche Konsequenzen und Herausforderungen diese Art des Arbeitslebens mit sich bringt. Neben den für Selbstständige üblichen Voraussetzungen und Schwierigkeiten, kann der häufige Ortswechsel langfristig zur Belastung werden. Besonders achten muss der digitale Nomade aber auch auf Formalitäten.

Welches Land verlangt die Steuererklärung? Wo muss ich meinen Wohnsitz anmelden? Darf ich im Ausland überhaupt einfach so arbeiten bzw. welches Visum ist notwendig? Und was passiert, wenn man krank wird? Mobilität und Flexibilität sind weitere Voraussetzungen, die man mitbringen sollte. Alle, die das schaffen, können erfolgreiche digitale Nomaden werden. Aber die Herausforderungen sollte man trotz (oder gerade wegen) der oftmals traumhaften Umgebung keinesfalls unterschätzen.


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