Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – Nerviges Regularienmonster für Webauftritte oder sinnvoll fürs Marketing?
Das Gesetz verlangt von den meisten Unternehmen, ihre Website barrierefrei zu gestalten. Diese 6 Vorteile sorgen dafür, dass sogar nicht direkt betroffene Unternehmen genauer hinschauen sollten.
In der idealen Welt bestellt der blinde Student online ein Mittagessen. Ebenso navigiert die querschnittsgelähmte Dame den Weg per Routenplaner zum Orthopäden. Zusätzlich möchte der junge Vater trotz dem schreienden Kind auf dem Arm das Video verstehen und die junge Schülerin erleidet keinen epileptischen Anfall, den ein starkes Flackern als Design-Element provoziert.
Auch heute verhindern noch zu viele Webangebote diese Situationen. Und deswegen wurde das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) formuliert.
6 Gründe, warum Ihr Marketing vom BFSG profitiert
Von der Tätigkeit des Marketings profitiert das gesamte Unternehmen. Und das sind die Gründe im Einzelnen:
1: Sie müssen schnell sein, um vom Wettbewerbsvorteil zu profitieren
Aus allen folgenden Punkten ergibt sich ein Wettbewerbsvorteil, wenn das eigene Webangebot früher als das der Mitbewerber barrierefrei ist. Aber ist es das? Prüfen Sie es doch!
2: Mehr Website-Nutzer, mehr Umsatz – so geht‘s
Die Benutzerfreundlichkeit ihres Webauftritts für alle Nutzer verbessert sich, egal ob Nutzer eine Einschränkung haben und gleich wie stark die Einschränkung der jeweiligen Person ist. Dadurch vergrößert sich die Gruppe derer, die Ihre digitalen Angebote nutzen. In Folge steigt Ihr Umsatz.
3: Ihre Webseite macht einfach, was der Nutzer will
Steigende Wichtigkeit kommt dem Punkt User Experience (UX) zu: Ist mein Webangebot barrierefrei gestaltet, ist es auch für Personen ohne Einschränkung einfach nutzbar. Denn bei der Barrierefreiheit ist klare, intuitive Kommunikation essenziell.
4: Auch Suchmaschinen lieben die Klarheit Ihrer Website!
Durch die klare Gliederung und Darstellung der Inhalte auf Ihrer Website können Webcrawler von Suchmaschinen die Seite besser indizieren. Dadurch werden die Inhalte besser gefunden. Als Folge steigt der Wert der Website für Suchmaschinen immens – Barrierefreiheit bringt somit auch einen Vorteil für SEO.
5: Sie sind sozial engagiert und zeigen es. Und zwar so:
Unsere Gesellschaft wertet Barrierefreiheit positiv. Davon profitiert ihr Markenimage und wird als inklusiv wahrgenommen. Überschneiden sich hier die sozialen Werte der Marke und der Zielgruppe, wird diese loyaler zur Marke.
Sie kommunizieren explizit ihre Bemühungen um die barrierefreie Website:
- Mit einem Siegel,
- veröffentlichen Sie die Prüfungsergebnisse,
- beschreiben Sie den Prozess zur Barrierefreiheit,
- oder setzen Sie Ihre eigene Idee um!
6: Barrierefreien Unternehmen drohen keine rechtlichen Konsequenzen vom BSFG. Ihrem etwa?
Strafen von bis zu 100.000 Euro drohen Unternehmen, die gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verstoßen. Unternehmen mit barrierefreien Angeboten im Web hingegen haben keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten.
Gilt das BFSG auch für die Website Ihres Unternehmens?
Unternehmen, die eines der folgenden Produkte herstellen, importieren oder anbieten, müssen das künftig barrierefrei tun:
- Mobile Endgeräte, wie Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone, oder Fernsehgeräte mit Internetzugang
- Automaten für Geld, Fahrausweise oder zum Check-in
- E-Book-Reader
- Router
WICHTIG:
Bei dieser Gruppe gibt es keine Einschränkung der Unternehmensgröße.
Ebenfalls betroffen sind Dienstleister mit mehr als 10 Mitarbeitern oder 2 Millionen EUR Umsatz pro Jahr, sofern sie Dienstleistungen wie die folgenden anbieten:
- Telekommunikationsdienste, wie Telefon-, oder Messengerdienste,
- E-Books,
- auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (inklusive Apps) im überregionalen Personenverkehr,
- Bankdienstleistungen,
- elektronischer Geschäftsverkehr, wie etwa das online angebotene Bewerbungsformular,
- Personenbeförderungsdienste (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals).
Step-by-Step: So sieht die Prüfung für barrierefreie Websites aus
Um die Anforderungen des BSFG zu erfüllen, müssen die Webauftritte privater Wirtschaftsunternehmen die WCAG 2.2 (Web Content Accessibility Guidelines) erfüllen. Der sogenannte WCAG-Test (Web) bildet hierbei die Grundlage für die Prüfschritte für Webseiten.
Wichtig zu wissen: Apps werden in einem separaten Test geprüft.
In diesem Test gibt es insgesamt 66 Prüfschritte, die in mehrere Unterpunkte gegliedert sind. Dabei existieren nicht alle möglichen Elemente auf jeder Seite, so dass nicht in jedem Fall alle Schritte durchgeführt werden müssen.
- Textalternativen: gibt es beispielsweise alternative Texte für Bedienelemente, Grafiken oder Captchas?
- Videos: Alternativen für Videos müssen vorhanden sein. Beispiele sind Alternativen für Audiodateien und stumme Videos oder Untertitel. Audiodeskriptionen beschreiben sehbehinderten Personen die Passagen eines Films, in denen die Handlung ohne Worte ersichtlich ist. Beispiel: „Die Tür geht auf, davor steht ein Briefträger.“
- Struktur und Gliederung anpassbar: Beispielsweise müssen HTML-Strukturelemente korrekt verwendet werden, damit Screenreader für visuell beeinträchtigte Personen den Inhalt sinnvoll wiedergeben können.
- Unterscheidbare Inhalte: Visuell beeinträchtigte Personen können Informationen, die ausschließlich über Farbe vermittelt werden, nicht erkennen. Ein Beispiel: „Klicken Sie auf den grünen Knopf …“. Daher müssen diese Informationen auch auf andere Weise gegeben werden: „Drücken Sie den grünen, runden Knopf …“.
- Tastaturbedienbarkeit: Die Webseite muss gänzlich sowohl mit der Maus als auch mit der Tastatur bedienbar sein. Es darf keine Tastaturfalle auf der Website geben.
- Zeit und Bewegung: Ausreichende Zeit bis zum Time-Out muss bleiben, damit auch kognitiv eingeschränkte Personen ein Webangebot wahrnehmen können. Idealerweise ist diese Zeitspanne anpassbar.
Auch bewegte Inhalte müssen abzuschalten sein. Darunter fallen beispielsweise automatisch aktualisierte Nachrichten, blinkende Werbung oder anderen sich bewegenden Elementen.
- Flacker-Verzicht: Webseiten enthalten keine flackernden oder blinkenden Elemente. Grund: Elemente, die während einer Sekunde mehr als dreimal aufblitzen, provozieren epileptische Anfälle.
- Navigierbare Inhalte: Der Content muss komplett durch eine sinnvolle Struktur übersichtlich sein. Einzelne Bereiche werden übersprungen, Dokumententitel und sprechende Linktexte führen den Leser. Alternative Zugangswege über die Suche, Inhaltsverzeichnisse oder die Überschriften helfen bei der Orientierung innerhalb des Texts.
- Wie ich etwas eingebe, muss änderbar sein: Es muss beispielsweise Alternativen zu feinmotorisch anspruchsvollen Ziehbewegungen geben.
- Lesbar: Die Hauptsprache der Seite muss angegeben werden. Wörter in anderen Sprachen müssen gekennzeichnet werden.
- Vorhersehbar: Änderungen an der Darstellung der Seite müssen vorhersehbar sein. Das wird durch konsequente Bezeichnungen, Navigation oder gleichartige Hilfe erreicht.
- Eingabeunterstützung: Es muss eine Unterstützung der Eingabe geben, die beispielsweise Fehler erkennt und Hilfe anbietet.
- Kompatibel: Ist die Webseite kompatibel, beispielsweise wird der korrekte HTML-Syntax verwendet.
Jetzt weiß ich wie die Prüfung aussieht, aber wer führt sie für meine Website durch?
Die detaillierte Prüfung zeigt auf, wie barrierefrei die jeweilige Seite bereits ist. In 13 Kategorien werden einzelne Punkte geprüft, damit die Webseite von Nutzern mit jeglicher Art von Einschränkung genutzt werden kann. Dabei sind nicht alle Kategorien auf allen Webseiten anzuwenden. Captchas beispielsweise können nicht geprüft werden, wenn keine vorhanden sind.
Es existieren Checklisten, anhand derer ein Unternehmen die Prüfung seines Webauftritts selbst durchführen kann. Doch Vorsicht! Einige Checklisten mit früheren Versionen des WCAG-Tests existieren noch. Da diese Tests ungenauere Ergebnisse liefern, sollten Sie nur WCAG 2.2-Tests nutzen. Erreicht Ihre geprüfte Webseite die Konformitätsstufe AA? Glückwunsch, denn dann gilt sie als barrierefrei.
Das Ergebnis dieser Prüfung zeigt Bereiche ihres Webangebots auf, die noch nicht barrierefrei sind. Dort bessert Ihre Fachabteilung nach oder ein externer Dienstleister kann das für Sie übernehmen.
Agenturen können einem Unternehmen hier viel Arbeit ersparen, indem sie die Prüfung durchführen, Empfehlungen aussprechen und diese auf Wunsch umsetzen.
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